Berlin, zweiter Teil – Dicke Arme und schmutzige Hände

Im letzten Teil hat uns ein freundlicher Mitarbeiter der Fluglinie schnell und beherzt in den leider vollkommen falschen Bus gesetzt.
Es ist interessant, wie die Berliner miteinander umgehen. Die Umstehenden und -sitzenden bekamen ja zwangsläufig mit, in welche Richtung wir wollten.
„Der Bus hier fährt aber wo ganz anders hin“, kaum, dass wir unsere Siebensachen verstaut hatten. Eine leichte Panik machte sich in mir breit. „Momentchen, Nachbar, det ham wa jleich“. Per Zuruf wurde der Busfahrer geholt, der erst einmal einige Fahrgäste rausscheuchte, damit er an die Rollstuhlklappe kam. Zwei Minuten später waren wir wieder draußen, von einem „Schön‘ Tach ooch“ begleitet.
Kein Murren, keine Diskussion, bloß ein schiefes Grinsen der anderen über die hilflosen Touris.

Der richtige Bus wurde dann von einem kleinen Chor angekündigt, damit der arme Behini und seine geplagte Schubserin ja auch ordentlich wegkommen.
Wieder kam der Fahrer nach hinten, klappte die Rolliklappe heraus und fragte, wie weit wir mitfahren möchten. Einmal Umsteigen nach demselben Prinzip, dann ca. 400 Meter zum Hotel. Dass die Fußwege zur Straße hin leicht abfallen, dass kennen wir ja aus jeder Stadt. Hier hat man zur Belustigung der Rollstuhlfahrer die Hauseinfahrten mit Kopfsteinpflaster belegt, aber nicht die moderne, flache Version. Nein der richtig harte Stoff muss es sein. Eine ganz schlechte Idee ist es, diese Strecke mit genügend Anlauf überwinden zu wollen.
Ein paar Mal hat es mich fast aus dem Stuhl gehauen. Selbst mein Lifestand-Stuhl, der mit allen Zusatzanbauten fast 40 Kilo wiegt, hat auf diesem Untergrund einen Bremsweg von 0 cm.
Eins bekam ich sehr schnell mit: Diese Stadt macht dicke Arme. Die meisten Bürgersteige sind an den Kreuzungen abgesenkt, so dass man gut hinunter und mit einem leichten Anheben der Vorderräder auf der anderen Seite auch wieder relativ problemlos wieder hinauf kommt. Das verleitet dazu, möglichst viel auszuprobieren, so dass ich spätestens am Nachmittag die Arme kaum noch hoch bekam. Das besserte sich aber jeden Tag ein bisschen. Nur die Hände, die musste ich mir mindestens zwei mal am Tag mit Wasser, Seife und Bürste kräftig abschrubben, die waren ganz schnell rabenschwarz.

Im Hotel war man auf die Ankunft eines begleiteten Rollstuhlfahrers vorbereitet und ging damit auch routiniert um.

Weiterlesen

Veröffentlicht unter Allgemein | Schreib einen Kommentar

Challenge accomplished – Ziel erreicht

Wer meinen Blog verfolgt, weiß, dass ich vor über acht Jahren mit meiner liebsten Schubserin nach Berlin wollte. Warum das die kürzeste Trike-Tour meines Lebens wurde, das ist inzwischen Geschichte. Deses Jahr nullte meine Zimmerlinde. Ein Grund einen neuen Versuch zu starten, diesmal aber mit dem Flugzeug. Wenn das schiefgehen sollte, dann bekommt es wenigstens jeder mit. Um der Geschichte ein klein wenig vorzugreifen, nach acht Jahren, drei Monaten und einundzwanzig Tagen standen wir wirklich unter der Quadriga.

Das Abenteuer begann bereits beim Buchen. Manche Fluglinien nehmen die Begleitpersonen nämlich sehr günstig mit. Sie zahlen nur die Flughafen- und die Bearbeitungsgebühr – der eigentliche Flug ist kostenfrei. Dafür muss sie im Fall der Fälle den Behinderten evakuieren.
Das funktioniert aber nur, wenn direkt bei der Airline gebucht wird. Die vielen Portale bieten diese Möglichkeit nicht an. Weiterer Nachteil – bei Buchung über die Airline sind ein bis zwei Gepäckstücke im Ticketpreis inbegriffen. Über das Portal kosten die Koffer extra. Das sagt uns der gute Calli aber nicht, die Nase. So ist dann das etwas preiswertete Ticket eine ganze Ecke teurer.
Ein Anruf beim Portal brachte immerhin den Erfolg, dass der Rollstuhl kostenfrei durchgebucht wird – sagte man mir. Das hätte bei der Fluglinie zwar ebenfalls funktioniert, dafür hätte ich aber bei der telefonischen Anmeldung der Rollstuhlmaße nie erfahren, dass das Portal vergessen hatte, die Begleitung zur Maschine mitzubuchen. Der freundliche Sachbearbeiter der Fluglinie brachte aber alles in Ordnung. Ansonsten hätte ich den Rollstuhl als kostenfreies Sperrgepäck aufgegeben und dann zusehen müssen, wie ich in die Maschine komme. So viel zum Thema billig Fliegen.

Wegen des Rollstuhls zwei Stunden vor Abflug am Flughafen zu sein, hatte ich zwar irgendwo gelesen, eine Stunde vorher hätte aber locker ausgereicht. Der Schalter öffnet ohnehin erst eineinhalb Stunden vorher.

Als wir das Flugzeug sahen, kamen uns erste Zweifel. Diese kleine Turboprop-Maschine soll uns mitnehmen? Und wie kommen wir da rein?
Eine sehr freundliche Mitarbeiterin bat uns, doch bitte aufs Vorfeld zu kommen. Dort parkte ein Catering-Fahrzeug vor der Tür. Die haben viele von uns schon gesehen. Ein Transporter hat einen Container huckepack, der sich nach oben auf die Ebene der Flugzeugtüren heben lässt, damit die Verpflegungswagen hineingerollt werden können.

Irgend ein pfiffiger Mensch hatte dem Verpflegungscontainer ein paar Rollstuhlhalterungen spendiert.
So wurde ich von der Flughafenfeuerwehr erst einmal hinten in den Container eingeladen.
catering1WZ

Anschließend wurden meine Zimmerlinde und ich gemütlich zum Flugzeug hinaus gekarrt. Die Feuerwehrleute waren zu Recht sichtlich stolz auf ihre neue Errungenschaft.

catering2WZ

 

Dann fuhr der Container auf Lukenhöhe hoch und ein Steg zur Einstiegsluke hinüber.

Der Fahrer lenkte dabei wie ein Schiffskapitän sein Fahrzeug von der Containerbrücke aus auf den Zentimeter genau in Position.

Ich war direkt dahinter festgezurrt und echt beeindruckt.

 

 

catering3WZ

Anschließend packten mich die Herren der Flughafenfeuerwehr auf den Kabinenrollstuhl und fuhren mich zu meinem Sitzplatz. Mein Rollstuhl verschwand derweil irgenwo im Bauch der Maschine.

Kleiner Tipp: Wer wie ich eine sensible Rückseite hat, sollte sich sein Rollstuhlkissen mit rüber nehmen. Ich hatte auch mein Rutschbrett und ein Gleitkissen dabei, womit ich verblüffend leicht auf meinem Fensterplatz landete.

 

Anschließend durften dann die anderen Passagiere einsteigen – darunter auch ein paar sehr hochnäsig dreinblickende Vielflieger, die uns bereits beim Einchecken durch ihre ungeduldige Art auf den Wecker gefallen waren.
Die Blicke, als sie beim Einsteigen bemerkten, dass wir der Grund für die paar Minuten Wartezeit waren – unbezahlbar. Meine liebste Feuerwehrmannanfeuerin hatte noch auf Reiseflughöhe ein breites Grinsen im Gesicht.

Nachdem man uns in dem kleinen Flughafen Baden-Baden so hochtechnisch an Bord gebracht hatte, waren wir natürlich gespannt, mit welcher Hightech-Überraschung man uns in einer der modernsten Städte der Welt auf den Boden der Tatsachen befördern
würde.

Es war natürlich nicht so etwas Improvisiertes, wie ein umgerüstetes Cateringfahrzeug.

Erst einmal bat man uns, zu warten. Gerade würde ein anderer Rollstuhlfahrer aus einem anderen Flugzeug geholt.

Eine Viertelstunde später kamen zwei etwas abgehetzt wirkende Menschen des Behindertenbegleitdienstes. Sie hievten mich auf den Kabinenrollstuhl und schleppten mich unter Ächzen und Keuchen die Gangway herunter. Unten setzten sie mich in meinen  bereit stehenden Rollstuhl. Mit einem handelsüblichen Behindertenbus ging es dann quer übers Vorfeld zur Gepäckausgabe.

Hier trafen wir wieder auf unsere ungeduldig hin und her trippelnden Vielflieger. Diese hatten schon beim Check-In ja ganz eloquent den Krüppel mit seiner Karre überholt, der da ja erst eine halbe Stunde stand. Ihr Gepäck war auch zuerst verladen worden – und kam demzufolge zuletzt wieder ans Tageslicht. So folgten uns nicht mehr ganz so blasiert wirkende, eher leicht verkniffene Gesichter, als ein fröhlicher Flughafenmitarbeiter meiner Lieblingsschubserin ihren Koffer in die Hand drückte, und mich dann im Laufschritt zur Bushaltestelle schob. Dass er uns in den vollkommen falschen Bus setzte, das bekamen sie leider nicht mehr mit.

Wie wir dann doch noch im richtigen Hotel ankamen und wie die Hauptstädter mit der Inklusion umgehen, das erzähle ich euch beim nächsten Mal.

Veröffentlicht unter Allgemein | Schreib einen Kommentar

Die Macht der Presse – mit welcher Verantwortung?

Dass die Presse sich in Deutschland zu einer Macht im Staate gemausert hat, sollte seit der Demontage von Christian Wulff auch dem Letzten klar geworden sein. Doch was war dem damaligen Bundespräsidenten eigentlich vorzuwerfen. Ein viel später stattgefundener Prozess ergab, dass sich von einem Filmproduzenten, mit dem er immerhin seit Langem befreundet war, einladen zu lassen, politisch nicht besonders geschickt, aber keine Vorteilsnahme war.
Aber worüber stürzte er denn dann? Sein Fehler war, einem Journalisten, der Negatives über ihn veröffentlichen wollte, Ungemach anzudrohen. Und das ungeschickterweise auf dessen Anrufbeantworter – in der Redaktion.

„Die Presse“ entfesselte daraufhin einen publizistischen Wirbelsturm, der Wulff regelrecht aus der Öffentlichkeit riss – ihn politisch und persönlich vernichtete. Anders lässt es sich nicht formulieren. Ein deutliches Zeichen: „Wer uns angreift, hat bereits verloren.“

Jetzt haben zwei Blogger Dokumente veröffentlicht, die von offizieller Seite als geheim eingestuft wurden.
Der bis dahin noch im Amt befindliche Generalbundesanwalt musste daraufhin feststellen, was genau passiert war. Hat das strafrechtlichen Bezug? Welche Dokumente wurden von wem veröffentlicht? Welche Geheimhaltungsstufe hatten die Dokumente?
Schließlich ist sogar der Speiseplan der BND-Kantine nicht öffentlich.
Wenn ein Staatsanwalt sich mit etwas beschäftigt, dann nimmt er Ermittlungen auf. So heißt das.
Über die Veröffentlichung geheimer Dokumente gibt es eine rechtliche Regelung, die jeder im Gesetz nachlesen kann. Ob das  jetzt gleich Landesverrat war, oder nicht, das muss festgestellt werden, was üblicherweise der GBA tut.

Allzu dramatisch scheint es aber nicht gewesen zu sein, den der GBA informierte die beiden Blogger sogar noch darüber. Nach dem Motto: „Mir wurde da etwas zugetragen, das muss ich mir natürlich jetzt auch anschauen.“
Genau das ist die Aufgabe eines Generalbundesanwalts.

Dass er die beiden Blogger darüber informierte, zeigt für mich, dass er keine große Sache darin sah.
Meine Kenntnis über solche Dinge hält sich, wie bei den meisten von uns, in Grenzen. Ich weiß nur so viel: Das, was Staatsanwälte bei Strafgerichten tun, macht der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof.

Was dann geschah, erfüllt mich nicht mit Sorge, nein, mich packt die nackte Angst.
„Da hat schon wieder einer von denen einen von uns angegriffen“, gellte das Fanal.

Früher einmal hat die Presse berichtet. Genau das sehe ich als die Hauptaufgabe von Journalisten: Bericht zu erstatten, die Öffentlichkeit zu informieren, das Ganze möglichst neutral und unbewertet. Die Menschen sollen genug Information bekommen, um sich eine eigene Meinung bilden zu können. Dazu werden gute Journalisten ausgebildet, dazu gibt es sogar einen Kodex.

Bisher fühlte ich mich als kleiner Kolumnist und Blogger dieser Presse zugehörig. Ich bin kein ausgebildeter Journalist und auch nirgendwo akkreditiert. Das, was ich über Pressearbeit weiß, habe ich mir größtenteils selbst beigebracht.

Verantwortung

Der Begriff ‚Verantwortung‘ erweist sich als eine mindestens dreistellige Relation, die Verantwortungssubjekt, Verantwortungsbereich und Verantwortungsinstanz verknüpft. Lizenz: CC BY-SA 3.0

In meinem Blog sage ich meine Meinung. Ich informiere, ohne jemandes Meinung darüber bilden zu wollen. Allerdings gebe ich meinen eigenen Senf dazu. Und diesmal
verwende ich politisch möglicherweise nicht immer korrekte Begriffe. Ich sag’s schon mal im Voraus. Aber das hier ist mein Blog und mein Senf.

Aus meiner Sicht heraus geschah daraufhin Folgendes.

Quasi unmittelbar wurde ein solcher Druck ausgeübt, dass der Justizminister als Dienstherr den Bundesanwalt sofort in den Ruhestand schickte. Als Politiker tat er das natürlich nicht lautlos. Schließlich geriet sein eigener Arsch jetzt in die Schusslinie.

Statt sich, wie man es von einem Verantwortlichen mit Eiern in der Hose erwarten könnte, erst einmal hinter seinen Untergebenen zu stellen, ließ er ihn nicht nur fallen, wie eine heiße Kartoffel. Nein, er warf ihn der Meute geradezu zum Fraß vor.
Er hat ihn nicht entlassen, er hat ihn in den Ruhestand geschickt – Leute, ein nasses Stück Seife ist dagegen ein Anker, mit dem sich ein Flugzeugträger sichern lässt.

Glücklicherweise kenne ich inzwischen den einen oder anderen Bundespolitiker und kann sagen, sie sind nicht alle so. Im Gegenteil, da sind welche dabei, die morgens beim Rasieren noch in den Spiegel sehen können.

Wieder einmal hat die Presse demonstriert, dass man sich besser nicht mit ihr anlegt.
Ich weiß nicht. Man könnte jetzt sagen, das waren doch „bloß“ zwei Blogger, noch nicht einmal richtige Journalisten. Könnte man.
Man könnte aber auch sagen, da haben einige Gefallen an der Macht gefunden. Könnte man auch.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine freie und unkontrollierte Berichterstattung ist etwas, worum uns nicht wenige Länder beneiden. Aber hier gibt es die Macht, einer demokratisch gewählten Regierung jederzeit die Existenz beenden zu können. Auch die Mächtigen in unserem Land wissen, dass sie für ihre Entscheidungen zur Verantwortung gezogen werden können.

Aber wer zieht die zur Verantwortung, die die Macht der Mächtigen jederzeit brechen können?
Es ist bemerkenswert, das ein Zitat aus einem Comic hier am besten passt: „Große Macht bedeutet auch immer große Verantwortung.“ (Spiderman)

Liebe Freunde, wir sind auf dem besten Weg zu einer Diktatur – einer Diktatur der Presse. Das läuft hier wirklich schief. Angeblich sollen da draußen noch ein paar Berichterstatter geben, die noch wissen, dass es so etwas, wie einen Ehrenkodex gibt. Es wäre schön, wenn diese noch nicht aufgegeben haben.

Und jetzt bin ich gespannt, ob ich nur einen Shitstorm auslöse, oder vielleicht jemanden zum Nachdenken gebracht habe.

Veröffentlicht unter Allgemein | Schreib einen Kommentar

Tempus fugit – oder: Eins, zwei, drei …

… im Sauseschritt saust die Zeit, wir sausen mit. Frei nach Wilhelm Busch. Eigentlich heißt es: „… läuft die Zeit …“.

Laufen, das ist so eine Sache.

Heute sind es acht Jahre, dass das Leben mir den Gedanken einpflanzte, Laufen wäre völlig überbewertet. Was-wäre-wenn haben meine Gedanken immer wieder durchgespielt. Was wäre, wenn statt des RTWs ein Hubschrauber mich gleich in eine Wirbelsäulenklinik und nicht ins Städtische geflogen, oder ich meine Protektorjacke getragen hätte? Oder den ersten Stint meine Frau gefahren wäre? Was wäre, hätten wir den gutmütigen Low Rider genommen?

Diese Gedanken kommen immer wieder. Das werden sie wohl auch weiter. Nur inzwischen denke ich sie ohne Bitterkeit – es sind einfache Gedankenspiele geworden. So ähnlich, wie: Was wäre, wenn Uwe Seeler seinerzeit in Wembley – den Faden kann jetzt jeder für sich zu Ende spinnen.

Zu drastisch, zu abrupt, ja brutal kam dieser Einschnitt meines Lebens. Einen Teil der Ereignisse sehe ich noch so plastisch vor mir, als wäre es erst gestern gewesen. Ein anderer Teil ist weg. Ganz ehrlich? Den verschwundenen Teil, wie ich die Mauer knutsche, auf den verzichte ich gerne. Mein Leben, so wie ich es kannte, war im Wortsinne von einer Sekunde zur anderen zu Ende.

Ich bekam ein neues Leben. Nein, ich bekam es nicht geschenkt. Die Chance, die bekam ich geschenkt. Aber das neue Leben, das war und ist ein ziemliches Stück Arbeit und das wird es auch bleiben.

Arbeit, die es Wert ist, getan zu werden. Arbeit, die ich als Einzelkämpfer aber auch nie geschafft hätte. Ganz vornweg ist die Person, die ich liebevoll gerne meine Zimmerlinde nenne. Die ihre eigene Verletzung ignorierte und mich auf ihrer Prioritätenliste ganz oben hin platzierte. Die so lange funktionierte und erst zusammenbrach, als feststand, dass mein, dass unser Leben wieder zu etwas wurde, das diesen Namen auch verdient. Alle fragten immer wieder nach mir – kein Mensch interessierte sich dafür, wie sie mit zwei Kindern nach einer barrierefreien Wohnung suchen, sich mit Versicherungen und Gutachtern herumschlagen und dabei noch ihren eigenen Beruf und den Haushalt managen sollte. Niemand hat gefragt, wie es ihr geht. Sie hat – selbst verletzt – die Ärmel hochgekrempelt und einfach gemacht. Learning by doing. Und mich noch täglich in der Klinik besucht – immer mit einem frohen Gesicht. Mach dir keine Sorgen, alles kommt wieder in Ordnung. Wenn das keine Liebe ist, dann weiß ich es nicht. Unsere Kinder haben genauso großartig reagiert. Und dabei blieb meine allerliebste Familienmanagerin die aufmerksame und liebenswerte Partnerin. Bloß einen Satz dicke, haarige und stahlharte Cojones hat sie sich dabei wachsen lassen – im übertragenen Sinne, natürlich. Wehe, einer geht gegen unsere Familie!

Ja, Familie. Aus vier Leuten, die im selben Haus wohnten und sich eigentlich ganz gut vertrugen, wurde durch den Unfall wieder eine Familie. Unsere Kinder sind inzwischen aus dem Haus und leben ihr eigenes Leben. Dabei sind wir uns immer noch viel näher, als vor dem Unfall.

Ich habe eine neue Perspektive bekommen. Das Leben wurde aufwändiger, komplizierter und – lebendiger. Und ja, auch ein Leben im Rollstuhl kann Spaß machen – macht Spaß.

Natürlich ist es kein Spaß, mal wieder zu spät zu kommen, weil die Verkehrsbetriebe keinen Niederflurwagen eingesetzt haben oder alle breiten Parkplätze von Menschen zugeparkt werden, die keinen Rollstuhl ausladen müssen.
Es ist auch kein Spaß, wenn die Lampe im Bad kaputt geht und ich nicht einfach wie früher auf den Stuhl steigen und sie austauschen kann.

Und es ist mit Sicherheit kein Spaß, wenn mir jeden Morgen jemand das Essen vom Vortag mit den Fingern aus der Rückseite ziehen muss – um es mal so zu formulieren.

Aber ich habe so viele Menschen kennengelernt, die einen Teil ihrer Zeit, ihres eigenen Lebens dafür aufbringen, um das Leben anderer ein bisschen zu verbessern. Nicht ganz spontan fallen mir dabei natürlich die Aktiven vom MMB ein – inzwischen auch mein Verein.

Ich habe Menschen gefunden, die ihre eigene Behinderung dazu verwenden, um anderen zu zeigen, wie viel reicher das Leben sein kann. David und Lisa zum Beispiel, die zeigen, was man mit so einem Rollstuhl alles anstellen kann. Oder Sven, der seine Übungen in Zeitlupe macht und dabei den Stuhl umgeschnallt lässt. Oder Lucy, die im Rollstuhl gemeinsam mit ihrer Mutter eine Mucke abliefert, die auch beim zweiten oder dritten Mal noch gut klingt. Oder mein Freund Bernhard – Dr. h.c. stunt – der als hoher Tetra anderen seelischen Halt gibt. Steffen – gude – auch Teddy, der kurz nach mir seine Räder bekam und seitdem alles pimpt, was Räder hat. Erika, die wörtlich die Beine unter den Arm nimmt, wenn’s denn mal schneller gehen muss. Nicht zuletzt Anastasia, die uns gezeigt hat, dass man für ein eigenes Modelabel noch nicht mal Muskeln braucht.

Noch eines habe ich gelernt: Auch unter Behinderten gibt es eine ausgeprägte Arschloch-Quote. Warum auch nicht, schließlich sind wir Menschen. Nicht Auch-Menschen oder Nur-Menschen. Schlicht Menschen. Eine Selbstverständlichkeit, auf der von angeblich politisch korrekten Wesen nicht permanent herumgetrampelt werden muss.

Nein, ich sage nicht, mir hätte nichts Besseres passieren können. Das wäre unzutreffend. Wer weiß, wie mein Leben noch als Läufer weitergegangen wäre. Ich weiß es nicht. Aber eins weiß ich: Im Rollstuhl gibt es ein Leben, das diesen Namen verdient. Man muss es nur anpacken und dieses Leben leben – genau, wie die vielen, die noch auf ihren eigenen Beinen unterwegs sind. Die kriegen auch kein Leben gebracht.

Eins weiß ich: Dieses neue Leben, das nun schon acht Jahre dauert, kann ganz schön spannend sein.

Veröffentlicht unter Allgemein | Schreib einen Kommentar

Ich fordere die Legalisierung der Hetero-Ehe

So langsam mache ich mir Gedanken. Zu meiner Schulzeit wurden Männer, die gemeinsam ihre Sexualität praktizierten, mit Gefängnis bestraft. In manchen Ländern gibt es heute noch drastischere Maßnahmen dagegen. Vielleicht möchten ja deswegen gewisse rechtspopulistische Strömungen nicht, dass die Einwohner gerade dieser Länder zu uns ziehen. Vielleicht sind diese so fremdenfeindlich wirkenden Zeitgenossen ja gar nicht xenophob. Vielleicht befürchten sie ja nur die exotischer aussehende Konkurrenz?

Doch ich schweife ab. Abschweifen – hihi … Entschuldigung!

Es ist noch gar nicht so lange her, da wurde die gleichgeschlechtliche Liebe straffrei. Das war kurz vor der Jahrtausendwende. Erst im Jahr 1994 strich der Bundestag den § 175 ersatzlos. Allerdings nur für Männer. Frauen konnten schon von jeher gleichgeschlechtliche Beziehungen führen, ohne, dass der Gesetzgeber einschritt. Das hatte zwar andere Gründe, aber dieser Teil der Gleichberechtigung wurde ganz dezent ausgeklammert. Gleiches Recht für (fast) alle!

Das war schon eine sonderbare Zeit. Teilten sich zwei Männer eine Wohnung, dann war der eine der Hauptmieter, der andere der Untermieter. Zogen zwei Frauen zusammen, dann teilten sich die Freundinnen die teure Miete. Aber auch das ist Geschichte.

Einige Jahre später wurde die eingetragene Lebenspartnerschaft geschaffen. Jetzt hatten gleichgeschlechtliche Paare die Möglichkeit, ihre Partnerschaft offiziell eintragen zu lassen, fast wie bei einer Ehe. Fast? Ja. Die Kirchen liefen natürlich Sturm dagegen. Und nicht nur die. Auch für die muslimischen Glaubensgemeinschaften war eine gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft undenkbar. Die jüdischen Gemeinden hielten sich heraus. Nur auf direkte Fragen ließen sie erkennen, dass sie ebenfalls nicht begeistert waren.

In diesem unseren Lande sind Kirche und Staat getrennt, zumindest rechtlich gesehen. Also schufen die Kommunen diese kleine Hintertür. Die deutschen Schwulen fanden es toll, lautstark unterstützt von den Lesben, die diese Chance auf echte Gleichberechtigung natürlich nicht ungenutzt verstreichen lassen wollten.

Nur bei einigen Gesetzen, die bisher auf die traditionellen Lebensmodelle aufbauten, kamen die Juristen nicht so ganz nach. Ein gleichgeschlechtliches Paar, das ein Kind adoptieren wollte, sah sich einigen Schwierigkeiten gegenüber. Technisch gesehen waren die Frauen mal wieder im Vorteil. Die Mutter, die ein Kind gebärt, hat alle Rechte und Pflichten und das ist auch richtig so.

Dass ein Kind für seine Entwicklung eine weibliche und eine männliche Bezugsperson benötigt, ist dabei meine ganz persönliche Meinung.

Aber zurück zum Thema. Ich habe ganz traditionell eine Frau geheiratet und sie mich – also wir uns. Politisch korrekt gingen eine MenschIn weiblichen Geschlechts und eine Person männlichen Geschlechts gemeinsam den Bund der Ehe ein.

Und dann habe ich noch eine – jetzt lasse ich das ganze korrekte Brimborium weg, das wird mir zu doof.

Jedenfalls fand das sehr zum Missvergnügen des katholischen Kleinstadt-Pfarrers statt, der sich zunächst weigerte, ein aus dieser Sünde entstehendes Kind zu taufen. Dass die erste Ehe von einem weltlichen Gericht vorher ordnungsgemäß geschieden wurde, hat den guten Mann weniger interessiert. Aber auch dieses Problem konnte traditionell gelöst werden.

Inzwischen wird verlangt, dass die eingetragene Lebenspartnerschaft der Ehe nicht nur komplett gleichgestellt werden soll, sondern dass gleichgeschlechtliche Paare eine Ehe mit allen Konsequenzen eingehen können. Also ich hätte die Lebenspartnerschaft einfach so aufgewertet, dass sie faktisch der Trauung gleichgestellt ist. Wenn zwei Menschen sich lieben, dann sollen sie auch heiraten dürfen, egal, welche Überschrift auf dem Zettel steht. Alles andere wirft nur unnötige Diskussionen auf. Die Religionsgemeinschaften werden noch ein paar hundert Jahre brauchen, um diese fette Kröte zu schlucken. Und wenn rechtlich die verschiedenen Lebensmodelle gleich gestellt sind, dann ist die ganze Diskussion bloß verschwendete Energie. Die Traditionalisten haben die Institution Ehe gerettet, die Progressiven haben die ersehnte Gleichberechtigung – endlich auch für alle Geschlechter. Und alle sind glücklich. Sogar die Familienrichter. Und auch für die Anwälte tun sich neue Einkommensquellen auf.

Und – wer weiß? Vielleicht können ja in dem alternativen Modell noch weitere Formen des Zusammenlebens definiert werden?

Solange mein traditionelles, heterosexuelles Lebensmodell weiter Bestand haben darf, bleibe ich tolerant. Und bevor die Homo-Ehe Pflicht wird, wandere ich aus.

Irland soll ja sehr schön sein …

Veröffentlicht unter Allgemein | Schreib einen Kommentar

Die Verkrüppelung des Abendlandes

Alle reden von der Islamisierung. „Migranten wollen unsere Arbeitsplätze, Asylanten unsere Wohnungen.“ Gestern las ich etwas von Rumänen, die hier Hartz IV beziehen. Bei aller Xenophobie – da baut sich im Hintergrund eine viel ernstere Gefahr auf, nämlich die schleichende Verkrüppelung unseres Abendlandes.

Verkrüppelung? Ja, es gibt alleine in diesem unseren Land mehr als 10 Millionen Behinderte. Was wäre denn, wenn die plötzlich anfingen, irgendwelche vermeintlichen Rechte zu fordern. Das fängt mit Rampen an der Oper an und hört mit Behindertenparkplätzen direkt vor dem Supermarkt noch lange nicht auf.

Da fallen die paar Tausend Asylanten doch kaum mehr ins Gewicht. Vor allem, wenn es bei denen ruhiger wird, gehen einige von denen wieder dahin, wo sie her gekommen sind.

Aber die Behinderten? Die wollen sich sogar noch fortpflanzen! Die lehnen die PID ab. Faseln davon, dass auch Kinder mit einer Behinderung Menschen wären und das Recht hätten, geboren zu werden. Mehr als ein Zehntel der Deutschen haben sich bereits einen Grad der Behinderung eintragen lassen. Wenn die sich zusammenrotten überspringen sie auf Anhieb die 5%-Hürde. Von wegen Teilhabe, in der Regierung mitmischen wollen die!

Jetzt haben wir denen so schöne Heime gebaut, in denen sie unter Ihresgleichen sein können, da wollen die raus. Die ganze Zeit konnten wir die schön klein halten. Irgendwas aus dem Sozialtopf bezahlt und schon waren sie bedürftig. Ja, wer seine Assistenz zum Bleistift von der Gemeinschaft finanzieren lässt, bekommt das auch. Wenn er bedürftig ist. Der Begriff ist klar geregelt und schon sind Dinge, wie Vermögen ansparen oder sich noch ein fettes Gehalt in den Rachen stopfen lassen, Geschichte. Steuern zu zahlen, statt der Gemeinschaft auf der Tasche zu liegen – wo kämen wir denn da hin?

Die neueste Unverschämtheit ist die Forderung nach einem Teilhabegeld – und das auch noch ohne Einkommens- oder Vermögensanrechnung. Damit die überall hinkommen oder was?

Das ist doch die glatte Verkrüppelung des Abendlandes. Einen Finanzminister, der sich den lieben langen Tag durch die Gegend schieben lässt, haben wir schon. Fehlt noch der Kanzler, dem jedes Schriftstück vorgelesen werden muss. Oder ein Bundespräsident mit einer Prothese – wie sieht das denn aus?

Selbst die Bundesbehindertenbeauftragte. Bei der letzten Olympiade hat sie noch im Biathlon abgeräumt, was ging.  Als Blinde. Noch Fragen?

Aber wartet nur! Wenn wir die Islamisten erst haben, dann sind die Krüppel dran. Das hat vor noch nicht mal hundert Jahren schon mal geklappt.

Nachher kommst du in kein Kino mehr rein, ohne über einen Rollstuhl zu fallen. Jeder Aufzug quatscht dir die Ohren voll, in welchem Stock du bist. Und mit ihrem Assistenten-Gedöns  schnappen sie uns unsere Pflegekräfte weg. Ich sehe es noch kommen, dass meine Fettleber im Krankenhaus von Doktor Makumba behandelt wird. Die Verbände wechseln mir Schwester Li und Pfleger Hakan.

Und wir dürfen nicht mehr vor unserem Einkaufsladen parken, weil sich da schon wieder eine klimatisierte Großraumlimousine breitmacht. Von unseren Steuergeldern bezahlt.

Fehlt nur noch, dass ein Downie unsere Kinder unterrichtet, und das vielleicht noch gemeinsam mit behinderten Kindern.

Wollen wir das?

Veröffentlicht unter Allgemein, Blogroll | Schreib einen Kommentar

Ostern – meine ganz persönliche Definition von Wiedergeburt

Ostern, nach dem christlichen Glauben feiern wir die Auferstehung Jesu.
Aber Ostern ist noch viel mehr. Der Winter, das Synonym für den Tod, wird vom neu entstehenden Leben abgelöst, dem Frühling. Ostern ist genauso ein Bild für den ewigen Kreislauf des Lebens, ganz unreligiös und doch alle Religionen einschließend.

Wiedergeburt

Foto: CO0 Public Domain

Aber den Tod zu besiegen, wieder aufzuerstehen, das kann noch viel weiter gehen: Das Leben, wie man es bisher kannte wurde, vielleicht durch einen Unfall, umgekrempelt, ja – beendet. Jetzt steht da ein Rollstuhl vor dem Bett. Das, was man als Leben kannte, ist zu Ende, wird nie wieder so sein, wie früher.

Und genau hier kann uns das, was hinter dem Symbol Ostern steht, aus dem Dunkel führen. Das Leben, das wir bisher kannten, das ist zu Ende. Ja, wir haben einen Teil unserer Fähigkeiten verloren. Da nutzt auch kein Trotz und kein Jammer. Dieses alte Leben ist unwiederbringlich weg. Aus, vorbei, Vergangenheit, Geschichte.

Aber ein neues Leben beginnt. Völlig neue Perspektiven tun sich auf. Das Einzige, das wir zu tun haben, ist dieses Leben zu sehen, zu erkennen. Die Behinderung zu akzeptieren, dieses neue Leben anzunehmen, wird nicht leicht sein. Ja und?

Leicht können andere auch. Wir haben vielleicht einen Teil unserer Fähigkeiten verloren. Wir sind jetzt behindert. Da ist es, dieses böse Wort. Behindert. Aber was sagt dieses Wort denn aus? Nichts anderes, als dass wir nicht mehr all das können, wozu wir einmal fähig waren. Dafür haben wir die Chance, andere Talente zu entdecken. Und glaubt mir, diese Talente sind da.

Hätte man David Lebuser vor einigen Jahren gesagt, er würde Weltmeister im Rollstuhl-Skaten, er hätte vermutlich gefragt: „In was, bitte?“

Anastasia Umrik hat bestimmt auch nicht davon geträumt, eine Frauenbewegung zu initiieren, die die Frau hinter der Behinderung als das zeigt, was sie ist. Verführerisch, schön und unglaublich selbstbewusst. In einem Wort: Frau.
Dass sie so ganz „nebenbei“ noch mit einem eigenen Modelabel durchstartet, dass ist harte Arbeit. Aber wo steht denn geschrieben, dass Behinderte nicht hart arbeiten dürfen, um ihre Träume zu realisieren.

Und Manfred Sauer hat bestimmt auch nicht daran gedacht, dass ihn eine Behinderung einmal zu einem der größten Arbeitgeber seiner Region macht, als er sein Studium in England begann.

Ich selbst habe durch meine erworbene Querschnittlähmung eine völlig neue Perspektive auf das Leben bekommen. Ein Leben, das als gehender Mensch auch nicht uninteressant war. Ich habe gelernt, dass jeder Tag seine eigene Faszination hat. Und ich habe für ein Wort in meinem Wörterbuch keine Verwendung mehr. Das Wort heißt Langeweile.

Veröffentlicht unter Allgemein | Schreib einen Kommentar

Keine Chancen für Behinderte auf dem ersten Arbeitsmarkt?

Eins verstehe ich nicht. Überall heißt es, es gibt keine Stellen für Behinderte auf dem ersten Arbeitsmarkt, es müssen Förderprogramme her und sonst noch was. Also habe ich bei der IHK, der Agentur, etc. mal ein wenig auf den Putz gehauen. Nach dem Motto: „Alle reden vom Fachkräftemangel und ich kenne viele Behinderte, die gut ausgebildet sind und sich beklagen, dass sie schon Hunderte von Bewerbungen geschrieben haben.“
„Wir würden ja gerne“, sagen die Firmen, „aber bei uns bewirbt sich niemand.“
„Das kann doch nicht sein“, sage ich und lasse ein paar Postings los, frage wer an qualifizierter Arbeit im 1. Arbeitsmarkt interessiert ist.
Hole mir die Presse mit ins Boot, die einen Artikel über die Möglichkeiten schreibt, die es heute gibt.
Wie viele melden sich bei mir?
2, in Worten: zwei.
Einer davon hat bereits einen Job und wollte nur sagen, dass es gar nicht so schwer war. Die andere beschwert sich, dass sie keine Arbeit findet, kann mir aber trotz mehrerer Nachfragen nicht sagen, was sie gelernt hat. Die Aufforderung, mir doch mal ihre Bewerbung zu senden, verpufft ins Leere.
Ich mache ein Fass auf, renne von Pontius zu Pilatus, mache die IHK, die Arbeitsagentur und das Integrationsamt madig.
Ich biete den Leuten an, mir ihre Bewerbungen anzusehen. Haue die Firmen an, dass Behinderte extrem loyal, hoch motiviert und gut ausgebildet sind und was für eine Resonanz bekomme ich?
Gar keine. Null. Nix. Nada.

Was soll’s? Ich habe einen Arbeitsplatz in Vollzeit auf dem 1. Arbeitsmarkt. Für wen soll ich mich also aus dem Fenster lehnen?
Wie sagte mir ein Kollege, der schon länger Rollstuhl fährt? „Vergiss es, die Leute kriegen den Arsch nicht hoch.“
Willkommen in der Realität! Recht hat er.

Alle jammern, dass es für Behinderte so furchtbar schwer ist, einen Arbeitsplatz zu finden. Niemand gibt Behinderten eine Chance.
Ich lese ab sofort solche Berichte mit einer gesunden Skepsis. Ich laufe keinem mehr hinterher. Jeder, wie er mag, das ist hier schließlich ein freies Land. Die Chancen sind da. Aber man muss sie auch nutzen und dabei in Kauf nehmen, dass eine Stelle auch mit Arbeit verbunden sein kann.
Gerade lese ich in einem Artikel, dass es kaum Stellen für Behinderte gibt.
Werde den Autor mal anschreiben, in welchem Land er lebt.
Wobei, in einem hat er Recht: Die Tatsache, behindert zu sein, ist als einzige Qualifikation ein bisschen dünn.


Nachtrag:
Einen Aspekt habe ich nicht bedacht, der aber so Einiges erklärt. Danke denjenigen, die mich darauf aufmerksam machten.
Viele Menschen, die ihre Behinderung schon von Geburt an haben, bekommen von Anfang an erklärt: „Du kannst das nicht und du wirst jenes nie können. Aber wir sind ja da, um es für dich zu tun.“
Anerzogene Hilflosigkeit – irgendwann glauben es diejenigen wirklich selbst. Dass man ihnen damit einen Bärendienst erweist, das merken sie viel zu spät.

Hier gibt es noch viel Aufklärungsbedarf, denn so wird die Inklusion im Keim erstickt.


 


Veröffentlicht unter Allgemein | Schreib einen Kommentar

Darf Journalismus alles?

Ich bin nur ein kleiner Blogger und Kolumnenschreiber, kein studierter Journalist. Was sich aber einige der Leute, die ich kaum wage, Kollegen zu nennen, gerade erlauben, lässt mich an der Definition von dem zweifeln, was man mir als guten Journalismus vermittelt hat.

Ein Flugzeug mit 150 Menschen an Bord verunglückt, wobei alle Insassen sterben. Wir alle haben schon geliebte Menschen verloren. In diesen Momenten möchte man nur eins: Der Trauer Raum geben. Gemeinsam mit anderen Betroffenen oder alleine. Das aber ist für die Angehörigen der Opfer nicht nur unmöglich, sondern der Beginn eines unbeschreiblichen Traumas. Gleichgültig, wohin sie sehen oder hören – in allen Medien werden ihre seelischen Wunden ständig aufs Neue aufgerissen.

Noch bevor sie erfahren, ob ihre Angehörigen an Bord der Unglücksmaschine waren, spekulieren so genannte Sachverständige darüber, was in den Menschen an Bord beim Absturz vorgegangen sein mag.

Verschwörungstheoretiker jeglicher Provenienz versuchen in den sozialen Medien, sich mit den krudesten Vermutungen zu profilieren. Andere nehmen die Tragödie zum Anlass, das Luftfahrtunternehmen, die Regierung, die Luftfahrt im Allgemeinen in zum Teil beleidigender Weise zu diffamieren.

Jedes noch so kleine Gerücht wird genüsslich breitgetreten, zerpflückt, nur um kurze Zeit später ins Gegenteil verdreht zu werden.

Unsere Medien leben von den Werbeeinnahmen. Das, was hier momentan geschieht, lässt sich nicht mehr mit dem Interesse an höheren Umsätzen erklären. Das ist Sensationsmache der alleruntersten Schublade. Hier wird ganz bewusst mit den niederen Instinkten der Menschen gespielt.

Mir hat man vermittelt, dass seriöse Berichterstattung nicht spekuliert, sondern bewiesene Tatsachen interpretationsfrei vermittelt. Der Schutz möglicherweise unschuldig Betroffener hat dabei absoluten Vorrang vor Auflage oder Quote.

Nein, ich bin kein ausgebildeter Journalist. Daran ändern auch die paar Artikel und Moderationen nichts, die ich abgeliefert habe. Dadurch habe ich mich immer  ein bisschen als Schreiberling zweiter Klasse gefühlt.

Heute bin ich fast froh darum. Die Pressefreiheit darf keine Ausrede für diese Art der Berichterstattung sein.

Als Mensch teile ich mit, dass ich mit den Angehörigen aller, die bei diesem Unglück zu Tode gekommen sind, aus tiefstem Herzen mit trauere. Aus Respekt vor dem Leid der Angehörigen wird dies mein einziges Statement dazu bleiben.

Veröffentlicht unter Allgemein | Schreib einen Kommentar

Ich bin vielleicht behindert, aber deshalb noch lange nicht unmündig!

Surft man heute als Mensch mit Behinderung in den sozialen Netzwerken, dann besteht der Grundtenor meist aus Heulen und Wehklagen. „Die Regierung verarscht uns“ oder: „Aus der Inklusion wird nie was“. Gerne profilieren sich einige mit der Falschmeldung: „Ich darf nur 2600 Euro haben, weil ich behindert bin“.
Während die meisten dieser Posts aus dem Wiederkäuen populistischer Inhaltslosigkeiten bestehen, lässt sich damit wenigstens etwas anfangen. Diese 2600 Euro-Grenze gibt es nämlich wirklich – für Menschen, die beispielsweise auf Grundsicherung angewiesen sind. Unsere Gemeinschaft lässt nämlich niemanden verhungern. Wer bedürftig ist, bekommt Hilfe aus dem Sozialtopf. Bedürftig heißt dabei, dass man sich nicht mehr aus eigener Kraft helfen kann. Ein Indiz für Bedürftigkeit ist, weniger als 2600 Euro angespart zu haben.
Ich kenne Behinderte, die gutes Geld verdienen. Ich kenne nicht Behinderte, die Hartz IV beziehen.

Manche Menschen, die Assistenz benötigen, müssen diese aus dem Sozialtopf finanzieren. Da schließt sich der Kreis. Um nämlich etwas aus dem Sozialtopf zu erhalten, muss man bedürftig sein.
Das soll im Rahmen des neuen Teilhabegesetzes anders geregelt werden – eine der Forderungen der Behindertenverbände. Diesmal hat die Regierung nämlich die von dem neuen Gesetz Betroffenen aufgefordert, ihre Ideen dazu einzubringen.
Und so manche sind der Aufforderung gefolgt.
Das sind die, die die Bedeutung des Wortes Demokratie verstanden haben. Demokratie, die Herrschaft des Volkes. Und weil wir nicht alle durcheinander regieren können, wählt das Volk, also wir, regelmäßig eine Regierung. Das sind Menschen, denen wir zutrauen, unsere Angelegenheiten möglichst in unserem Sinne zu regeln. Wem die meisten Menschen das zutrauen, die bilden dann eine Regierung.
Fragt man aber die, die am lautesten Schreien: „Und was tust du?“, dann erhält man die tollsten Antworten.
„Nichts, mir hört ja keiner zu“, oder: „Was soll ich Einzelner denn schon tun?“

Da gibt es schon mal eins: Wählen! Keine ungültigen Zettel abgeben oder erst gar nicht hingehen. Und da ist es auch gleichgültig, ob das Kreuzchen die Linken bekommen, Sozial- oder Christdemokraten, Liberale oder Christlich-Soziale. Jede nicht abgegebene oder ungültige Stimme ist eine für die extremen Gruppierungen, egal, ob Links- oder Rechtsaußen. Die mobilisieren nämlich ihre Klientel.
Aber das ist erst der erste Schritt. Um selbst etwas für sich bewegen, zu können, gibt es Gemeinde- oder Stadtteilparlamente. Da findet die Demokratie noch an der Basis statt! Viele Sitzungen dieser kleinsten demokratischen Elemente sind öffentlich. Da können ganz normale Bürger hingehen. Und als ganz normale Bürger können wir dort mit den von uns gewählten Abgeordneten reden, ihnen unsere Ideen vermitteln. Oder vielleicht sogar selbst mitreden, bei der nächsten Wahl selbst kandidieren. Für den Gemeinderat, den Kreis-, oder Landtag. Es muss nicht immer gleich der Bundestag sein.

Allerdings muss ich dazu meine Meinung selbst vertreten und auch mal gegen eine andere Meinung abwägen oder verteidigen.
Oder ich töne in den sozialen Netzwerken gegen anders Denkende, anders Aussehende, anders sprechende. Vielleicht sogar gegen die, die andere gewählt haben. Warum denn auch wählen? Die machen doch eh, was sie wollen. Die? Wer sind denn die? Und wer ist das Volk?
Was das mit Behinderungen zu tun hat? Nichts. Behinderte sind nämlich auch das Volk. Oder die Regierung.
Solange sie sich nicht selbst für unmündig erklären, indem sie einfach nichts tun.
Schon mal darüber nachgedacht?

Veröffentlicht unter Allgemein | Schreib einen Kommentar