Keine Chancen für Behinderte auf dem ersten Arbeitsmarkt?

Eins verstehe ich nicht. Überall heißt es, es gibt keine Stellen für Behinderte auf dem ersten Arbeitsmarkt, es müssen Förderprogramme her und sonst noch was. Also habe ich bei der IHK, der Agentur, etc. mal ein wenig auf den Putz gehauen. Nach dem Motto: „Alle reden vom Fachkräftemangel und ich kenne viele Behinderte, die gut ausgebildet sind und sich beklagen, dass sie schon Hunderte von Bewerbungen geschrieben haben.“
„Wir würden ja gerne“, sagen die Firmen, „aber bei uns bewirbt sich niemand.“
„Das kann doch nicht sein“, sage ich und lasse ein paar Postings los, frage wer an qualifizierter Arbeit im 1. Arbeitsmarkt interessiert ist.
Hole mir die Presse mit ins Boot, die einen Artikel über die Möglichkeiten schreibt, die es heute gibt.
Wie viele melden sich bei mir?
2, in Worten: zwei.
Einer davon hat bereits einen Job und wollte nur sagen, dass es gar nicht so schwer war. Die andere beschwert sich, dass sie keine Arbeit findet, kann mir aber trotz mehrerer Nachfragen nicht sagen, was sie gelernt hat. Die Aufforderung, mir doch mal ihre Bewerbung zu senden, verpufft ins Leere.
Ich mache ein Fass auf, renne von Pontius zu Pilatus, mache die IHK, die Arbeitsagentur und das Integrationsamt madig.
Ich biete den Leuten an, mir ihre Bewerbungen anzusehen. Haue die Firmen an, dass Behinderte extrem loyal, hoch motiviert und gut ausgebildet sind und was für eine Resonanz bekomme ich?
Gar keine. Null. Nix. Nada.

Was soll’s? Ich habe einen Arbeitsplatz in Vollzeit auf dem 1. Arbeitsmarkt. Für wen soll ich mich also aus dem Fenster lehnen?
Wie sagte mir ein Kollege, der schon länger Rollstuhl fährt? „Vergiss es, die Leute kriegen den Arsch nicht hoch.“
Willkommen in der Realität! Recht hat er.

Alle jammern, dass es für Behinderte so furchtbar schwer ist, einen Arbeitsplatz zu finden. Niemand gibt Behinderten eine Chance.
Ich lese ab sofort solche Berichte mit einer gesunden Skepsis. Ich laufe keinem mehr hinterher. Jeder, wie er mag, das ist hier schließlich ein freies Land. Die Chancen sind da. Aber man muss sie auch nutzen und dabei in Kauf nehmen, dass eine Stelle auch mit Arbeit verbunden sein kann.
Gerade lese ich in einem Artikel, dass es kaum Stellen für Behinderte gibt.
Werde den Autor mal anschreiben, in welchem Land er lebt.
Wobei, in einem hat er Recht: Die Tatsache, behindert zu sein, ist als einzige Qualifikation ein bisschen dünn.


Nachtrag:
Einen Aspekt habe ich nicht bedacht, der aber so Einiges erklärt. Danke denjenigen, die mich darauf aufmerksam machten.
Viele Menschen, die ihre Behinderung schon von Geburt an haben, bekommen von Anfang an erklärt: „Du kannst das nicht und du wirst jenes nie können. Aber wir sind ja da, um es für dich zu tun.“
Anerzogene Hilflosigkeit – irgendwann glauben es diejenigen wirklich selbst. Dass man ihnen damit einen Bärendienst erweist, das merken sie viel zu spät.

Hier gibt es noch viel Aufklärungsbedarf, denn so wird die Inklusion im Keim erstickt.


 


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