Leben im Liegen

Jetzt ist es ein gutes Jahr her, dass ich mich zum Ausheilen eines eigentlich kleinen Dekubitus in dieses Bett gelegt habe. Dummerweise hatte der Kleine einen großen Bruder, der sich direkt unter ihm versteckte. Sackgesicht, hinterhältiges!

Durch die Narben der vielen OPs sieht der Körperteil, mit dem ich meine Sitzkissen platt drücke, sowieso schon aus, wie der Stadtplan von Alt-Jerusalem. Da kommt es auf die eine oder andere Narbe mehr auch nicht mehr an. Suboptimal dabei ist, dass Narbengewebe bei einer erneuten Verletzung heilungstechnisch keine Geschwindigkeitsrekorde bricht. Verdauungsprobleme direkt neben einer offenen Wunde sind dabei auch nicht unbedingt heilungsfördernd. Wenigstens ist mir bisher das Krankenhaus erspart geblieben. Das ist doch schon mal was!

Und so heißt es, Geduld zu üben, während das Leben vor dem Fenster an dir vorbei zieht. Für meinen Brötchengeber muss ich dabei eine Lanze brechen. Er versorgt mich mit Arbeit, die ich auch vom Bett aus erledigen kann. Nur das Unterrichten funktioniert so nicht. Schade eigentlich, denn das ist eine durchaus befriedigende Tätigkeit. Aber die Ersatzlösung, die wir gefunden haben, ist auch nicht schlecht.
Gar nicht schlecht!

Ich habe mir immer gewünscht, einmal vom Schreiben meine Miete bezahlen zu können. Und wieder einmal bewahrheitet sich die alte Warnung, die schon so vielen in den Mund gelegt wurde: „Bedenke worum du betest. Du könntest es bekommen.

Meine Freunde sagen, ich würde sie beeindrucken, weil ich weiter meiner Arbeit nachgehe und meine Ehrenämter erfülle. Wobei nachgehen doch leicht übertrieben ist. Nachliegen ist aber auch nicht gerade der Brüller.

Freunde, das ist reiner Selbstschutz! In manchen Situationen kann ein gewisser Fatalismus die Sache ungemein erleichtern. Verbindet man das mit einer guten Portion Galgenhumor, lässt es sich fast aushalten.

Was bleibt einem auch anderes übrig? Als bettlägerischer Querschnitt aus dem Fenster zu hopsen, ist ein nur schwer zu realisierendes Unterfangen. Und als Bewohner einer Parterrewohnung ist es auch nicht gerade zielführend. Außerdem bin ich viel zu neugierig auf morgen.

Meine Chefs, meine Kollegen und nicht zuletzt meine Familie lassen ohnehin keine Langeweile aufkommen – im Geigentul, die kennen da nichts. Nur mein Ehrenamt in unserer Gemeinde behandle ich momentan etwas stiefmütterlich. Aber Sitzungen gehen eben grad nicht – auch kein schlechtes Wortspiel. Vielleicht kriege ich ja unseren Bürgermeister dazu, gelegentlich eine Liegung einzuberufen. Bei den ollen Römern hat das ja auch funktioniert.

Eine andere Arbeitsweise habe ich mir angewöhnt. Wenn ich an einem komplizierten Artikel arbeite, dann mache ich schon mal zwischendrin die Augen zu. Dafür habe ich immer etwas zum Schreiben auf dem Nachttisch liegen, wenn ich nachts nicht schlafen kann.

Das Klavierspielen fehlt mir ein wenig. Ich habe mir schon Gedanken über eine Art mobiles Gerüst gemacht. Aber da hat meine Zimmerlinde vehement Einspruch eingelegt. Man muss kein Statiker sein, um festzustellen, dass die Deckenkonstruktion einer Mietwohnung das nicht besonders prickelnd fände.

Interessant ist, wie sich der Körper verändert. Die beiden Schaschlikstäbchen an meinen Schultern lassen sich nur mit viel Phantasie noch als Arme bezeichnen. Das wird mich irgendwann mal etliche Kilometer Handbike kosten, bis die dem Namen wieder gerecht werden.

Meine Essensportionen haben sich auch verkleinert. Gut, allzu viele Kalorien verbrenne ich derzeit nicht. Und Klamotten spare ich! Ab und zu staube ich meine Schuhe ab, das war’s.

Auch meine Schreibe hat sich verändert. In meinem aktuellen Abenteuerroman hänge ich seit Monaten zwischen Kapitel drei und vier fest, wie in einem kaputten Aufzug. Dafür sprudeln philosophische Texte geradezu aus meinen Fingern in die Bildschirmtastatur meines betagten Tablets.

Bis es im Sommer richtig warm wird hoffe ich, wieder länger aufstehen zu können. Mal ein paar Tage im Bett zu verbringen ist jetzt nicht so schlimm. Aber so langsam würde ich gerne mal wieder am Leben draußen teilnehmen.

Na ja, die Übersetzung des lateinischen Wortes Patient heißt nicht umsonst der Geduldige.

Irgendwann werde ich wieder mit meinem Rollstuhl die Gegend unsicher machen und vermutlich froh sein, wenn ich abends ins Bett darf.

Selbstmitleid kann vielleicht für den Moment ganz erholsam sein, aber es lenkt nur davon ab, aus wirklich jeder Situation etwas für sich Positives herauszuholen. Genau das ist es nämlich, was uns Menschen trotz fehlender Panzer, Klauen und ohne nennenswertes Fluchtverhalten seit Jahrtausenden überleben lässt.

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