Sich schämen, ein Deutscher zu sein? Warum?

Wenn ich sehe, wie wütende Menschen Bussen mit Flüchtlingen die Zufahrt zu ihrer Unterkunft verwehren und dabei „Wir sind das Volk“ skandieren, dann kommt mir, ehrlich gesagt, die Galle hoch.
Was glauben diese bildungsresistenten Vollpfosten eigentlich, wo sie hier sind?
Schon einmal hielt sich eine Clique von vermeintlichen Herrenmenschen für den Gipfel der Welt – mit dem Ergebnis, dass uns die Welt mit Fug und Recht den Frack vollgehauen und uns in Grund und Boden gebombt hat. Nicht zu vergessen, die Millionen von Menschenleben aller Nationen, die diese Herrenmenschen verursacht haben.

Ein Deutschland, das wirtschaftlich und infrastrukturell in Scherben lag, wurde in langer Arbeit wieder ein zu einem Land, in dem man gerne lebt. Dabei geholfen haben unseren Eltern damals rund 14 Millionen Menschen, die entweder als Deutschstämmige vertrieben wurden oder selbst flüchten mussten. Flüchtlinge nannte man die damals pauschal, egal aus welchem Grund sie ihre Heimat verlassen haben. Manche sagen, man könne das nicht vergleichen, das wären ja eigentlich alles Deutsche gewesen. Die Familien kamen vielleicht ursprünglich aus dem deutschsprachigen Raum, aber nicht wenige mussten erst einmal unsere Sprache lernen. Kommt das irgenwem vielleicht bekannt vor?
Natürlich sind die Unterschiede heute größer.
Natürlich sind das viel exotischere Kulturkreise, Religionen, ja Lebensauffassungen.
Und selbstverständlich sind auch bei diesen Menschen eine gewisse Anzahl Krimineller dabei.
Das ist aber kein Grund, unsere Traditionen abzuschaffen oder umzubenennen. In unserem Land herrscht Meinungs- und Religionsfreiheit, auch für uns. Wir müssen keine Muslime werden, aber es schadet auch nicht, den Neuen ihre Traditionen zu lassen. Wenigstens das sollten wir doch aus unserer eigenen Vergangenheit gelernt haben.

Dass bei uns Frauen und Männer gleichberechtigt sind, können wir den Zuwanderern vermutlich besser erklären, als denen, die der Meinung sind, sie wären das Volk.

Wobei die Gleichberechtigung auch bei uns immer noch nicht überall so ganz rund läuft.
Aber daran arbeiten wir noch.

Á propos ‚daran arbeiten‘, auch heute gibt es in unserem Land so einiges, das mir nicht vorbehaltlos gefällt. Aber ich habe mehrere Möglichkeiten, damit klar zu kommen: Ich könnte bei der nächsten Wahl mein Kreuz bei denen machen, von denen ich der Meinung bin, dass sie meine Interessen am besten vertreten. Was ich im übrigen erst getan habe – per Briefwahl. Dann kann ich mich am Wahltag nicht mit schlechtem Wetter, Dünnpfiff oder akuter Couchsucht herausreden. Diesmal fiel es mir ziemlich leicht, da ich mit einigen der Bewerbern persönlich gesprochen habe. Gesprochen, nicht irgendwelche Plattitüden ausgetauscht. Der eine oder die andere konnten mir meine Fragen nicht einfach so beantworten. Manche gaben zu, etwas nicht zu wissen und sich selbst erst informieren zu müssen. Andere versorgten mich mit einer Menge auswendig gelernter Phrasen.
Einer hat mir meine Fragen so beantwortet, dass ich die Antworten auch verstanden habe. Zwei haben mir zugehört und direkt für Lösungen gesorgt. Reden konnten alle.

Ich kann auch versuchen, mich aktiv dort zu engagieren, wo ich der Meinung bin, etwas bewegen zu können. Auch ich bin auf die Straße gegangen, um zu demonstrieren – für eine zweite Rheinbrücke zum Beispiel. OK, gegangen ist vielleicht die falsche Wortwahl. Jedenfalls fuhr ich mit meinem Rollstuhl deutlich schneller über die Brücke, als sonst im Berufsverkehr mit dem Auto, was aber jetzt keine Rückschlüsse auf die Qualität meines Autos bedeuten soll.
Inzwischen engagiere ich mich ehrenamtlich in Behindertenorganisationen und in Ausschüssen meiner Gemeinde.

Bei einigen Dingen muss ich einfach die Achseln zucken und sagen: Das ist eben so.
An den Steuern kann ich genauso wenig ändern, wie an der Straßenverkehrsordnung.
Und die Abseitsregel habe ich bis heute nicht begriffen. 

Aber zurück um Thema: Einige meiner Freunde sagen allen Ernstes, sie würden sich schämen, Deutsche zu sein.
Warum eigentlich?
Nur, weil so ein paar Dumpfbacken herumtönen, sie wären das Volk?

Ich will euch „Volk“ mal etwas sagen:
Wir Deutschen galten lange als das Volk der Dichter und Denker.
Dann sah die Welt in uns ein Volk der Rassisten und Unterdrücker.
Wir haben jahrelang daran gearbeitet, das Bild der Deutschen im Ausland wieder gerade zu rücken. Momentan noch werden unsere Ingeniere, unsere Lehrer und Ärzte in der Welt gerne gesehen. Unsere freiwilligen Helfer sind in verschiedenen Organisationen rund um die Welt unterwegs, um die Folgen von Katastrophen zu beheben, Hunger und Krankheiten zu lindern. Selbst unsere Soldaten und Polizisten sind in Ländern im Einsatz, die gerade lernen, dass Menschen in Uniform in erster Linie Menschen und erst dann Uniformträger sind.
Wir? Ja, genau wir. Ich selbst habe über Jahre hinweg mein Wissen in die Welt getragen, in Teams, die mit deutscher Ingenieurskunst dazu beitrugen, den Menschen in anderen Ländern das Leben ein wenig zu verbessern. Aus diesen Ländern habe ich vieles wieder mitgebracht: Ideen, Kochrezepte, Musik und wieder Wissen, Wissen, dass es in anderen Kulturen vieles gibt, dass auch mein Leben bereichert.
Die Basis der meisten Kulturen, die ich kennen gelernt habe, ist übrigens die Gastfreundschaft, eine Tradition, die auch in unserem Land langen Bestand hat.

Deswegen schäme ich mich nicht, ein Deutscher zu sein. Im Gegenteil werde ich alles dazu tun, dass auch diese Scheuklappenträger auch in Zukunft ihre Meinung äußern können – friedlich und ohne Hass.

Denn wer Hilfesuchenden seinen Hass entgegenbrüllt, mag möglicherweise auch eine Art von Volk sein, aber mit Sicherheit kein Deutscher.

Ihr solltet euch schämen, nicht wir!

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