Eine Lanze brechen

Heute tue ich etwas Unvernünftiges. Möglicherweise werde ich Unverständnis und Häme ernten, aber ich muss an dieser Stelle einfach mal eine Lanze für unsere Kanzlerin brechen. Ich habe mir auch meine Gedanken gemacht, wie denn das Ganze mit den vielen Flüchtlingen weiter gehen soll. Die Menschen strömen aus vielen Gründen hierher. Viele fliehen vor einem Krieg, der ihr Land verwüstet und ihnen die Lebensgrundlage nimmt. Andere werden dort, wo sie leben verfolgt, weil sie nicht der allgemein herrschenden Meinung sind, oder weil ihr Glaube, ihre Hautfarbe oder ihre sexuelle Ausrichtung ihr soziales Umfeld gegen sie aufbringt. So abwegig ist das nicht. Auch ist die allgemeine Auffassung, alles sei brutaler geworden, nicht ganz richtig. Ich kann mich daran erinnern, wie in meiner Jugend ein paar meiner Freunde regelmäßig loszogen, um „Schwule zu klatschen“. In einem Park in der Innenstadt trafen sich Homosexuelle, obwohl sie regelmäßig verprügelt wurden. So geschehen noch in den Siebzigern in einer bundesdeutschen Großstadt. Alleine die Tatsache, dass ich es ablehnte, andern gegenüber grundlos gewalttätig zu sein, sorge dafür, dass die anderen mich als Schwachmaten oder Würstchen bezeichneten, aber solange sie sich bei mir Zigaretten schnorren konnten, war ich zumindest geduldet.
Viele Eltern meiner Schulkameraden waren vor den Wirren des 2. Weltkriegs hierher geflüchtet. Andere, so wie meine Familie wurden von den neuen Regierungen enteignet und konnten sich im Idealfall noch entscheiden, ob sie bei den neuen Eigentümern als Angestellte arbeiten oder doch lieber woanders neu anfangen wollten.

Aber manche fliehen auch vor der Armut in ihrem Land, andere vor dem Gesetz. Hier ist es schwer, zu differenzieren. Der Verbrecher, der aus dem Iran, Syrien oder Afghanistan hier ankommt, kann ein Mörder oder Vergewaltiger sein, aber auch ein Redakteur, der regierungskritische Artikel schreibt. Statistisch gesehen sind es alles Kriminelle.

Einige kommen, weil sie glauben, dass es ihnen hier besser geht, ohne zuhause Gefahr für Leib oder Leben befürchten zu müssen. Die könnten sich die Schlepper sparen und dafür in ihrem Herkunftsland eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis beantragen. Wäre vermutlich einfacher, aber die Schlepper haben einfach ein besseres Marketing, als die deutschen Behörden.

Deutschland scheint gespalten – es gibt nur noch Nazis und Gutmenschen, so kommt es einem vor, verweilt man allzu lange in den sozialen Netzwerken.

Ich habe mich lange nicht festgelegt. Prinzipiell war ich der Meinung, erst einmal zu helfen, dann auszusortieren. Ich habe überlegt, ob Obergrenzen sinnvoll sind, wie wir zwischen Kriegs-, Wirtschafts-, Armuts-, oder politischen Flüchtlingen unterscheiden können. Die Grenzen komplett dicht zu machen, das war von Anfang an keine Option für mich.

Artikel über Menschen, die sich hier melden und pampig allen Komfort fordern, gehen genauso durch die Medien, wie Meldungen, wie verächtlich südländisch aussehende Männer hier Frauen behandeln.

Statistiken, wie hoch der Anteil an Straftätern der Angekommenen ist, hat jede

Dann las ich den Bericht eines freiwilligen Helfers, eines Arztes, der in einer Erstaufnahmestation Dienst tat und noch tut. Er erzählt darüber, in welchem seelischen und körperlichen Zustand viele Menschen dort ankommen. Eine Schwangere, deren beide Kinder bei der Überfahrt über das Mittelmeer ertrunken sind, hat Angst, weil das Ungeborene in ihrem Bauch sich seit zwei Tagen nicht mehr bewegt. Andere haben sich buchstäblich die Haut von den Füßen gelaufen, nur um hier in Sicherheit zu sein. Ob diese Station die Ausnahme oder die Regel ist, kann ich nicht beurteilen.
Ein Satz des Autors lies mich stutzen. Trotz der kaum zu bewältigenden Strapaze schreibt der Autor, dass das Motto: „Wir schaffen das“ von Angela Merkel die einzig richtige Art ist, mit dieser Situation umzugehen. Eine Frau, die ihre politische Karriere riskiert, entgegen aller Ratschläge die Menschlichkeit und die Hilfsbereitschaft vor das politische Kalkül zu stellen, sollte statt Gegenwind eigentlich alle Unterstützung bekommen.

Natürlich sind bei dieser Menge Menschen auch Trittbrettfahrer dabei – Leute, die aus ganz anderen Gründen ihre gewohnte Umgebung, ihre Freunde, ihre Heimat verlassen. Die kämen sonst über ein anderes Schengen-Loch. So haben sie es nur etwas einfacher.

Diejenigen, vor denen uns die Ewiggestrigen versuchen Angst zu machen, glaubt irgendwer hier ernsthaft, dass diese Terrorristen sich auf diese Ochsentour machen?
Glaubt irgendjemand wirklich daran, dass jemand, der hier etwas Übles vorhat, sich erst einmal fotografieren, die Fingerabdrücke abnehmen und in einer Turnhalle einlagern lässt, bis die Abdrücke durch alle Datenbanken gegengecheckt sind?

Ich finde, Angela Merkel handelt richtig, wenn sie die Menschlichkeit vor ihr eigenes politisches Überleben stellt. Und sollte es wirklich eng werden, ich hätte da noch einen Topf für sie: Frau Nahles gibt jede Jahr 500 Millionen Euro dafür aus, damit sie 12 Millionen Euro für Assistenz und Teilhabe für Schwerbehinderte einsparen kann. Wenn wir Frau Merkel davon die Hälfte für ihre Flüchtlinge geben, blieben immer noch 250 Millionen dafür übrig, dass behinderte Menschen, die mit Assistenz Steuerzahler sein könnten, nicht mehr in die Grundsicherung müssen. Nein, das stimmt nicht – ich muss noch die 12 Millionen abziehen, die dann sowieso fällig wären. Aber die wären es Wert, alleine, um Seehofers verblüfftes Gesicht zu sehen, oder?

Wie sagen die Wirtschaftler? Eine Win-Win-Situation.

So, mein Spam-Filter freut sich jetzt schon auf den Shit-Storm …

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