Inklusion ist viel mehr

Die Inklusion ist mal wieder in aller Munde. Und natürlich sind alle inklusiv und fordern von den Politikern, die Inklusion endlich umzusetzen. Doch was nutzt es, wenn die Inklusion, was immer das auch sein mag, in den Gesetzestexten auftaucht?

Nichts! In den Gesetzen steht die Inklusion nämlich schon lange drin. Aber solange sie nicht in den Köpfen und Herzen der Menschen ankommt, bleibt sie das, was sie ist: Inhaltsleere Worte auf Papier.

Es gibt die Gleichbehandlungsgesetze, Anti-Diskriminierungsgesetze, ja, selbst im Grundgesetz ist die Inklusion sogar explizit verankert: Artikel 3: „… Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“

Die diversen Bauvorschriften und Normen zur Barrierefreiheit nicht nur öffentlicher Gebäude gibt es ebenfalls schon lange. Gerüchteweise sollen auch schon einige Architekten den Verdacht haben, dass es da etwas gäbe.

Aber was ist Inklusion? In der Touristik besagt „all inclusive“, dass ich einmal bezahle und dann alle vorhandenen Ressourcen nutzen darf. Flug, Transfer zum Hotel, Zimmer, Bar, Pool, Essen, Trinken, Kinderbetreuung, Ausflüge – alles ist über die Pauschale abgedeckt.
Merkwürdig, da funktioniert’s.

Aber Inklusion ist nicht die Rollstuhlrampe am Rathaus. Inklusion ist nicht die klickende Fußgängerampel. Inklusion ist auch nicht der Gebärdendolmetscher in den Nachrichten. Auch die kürzlich eingeklagten Prozessunterlagen in Braille-Schrift sind keine Inklusion.

Inklusion ist, wenn ich spontan ins Kino oder ins Theater gehe, ohne vorher klären zu müssen, ob ich mit dem Rollstuhl überhaupt hin und auch rein komme.

Inklusion ist, wenn ich im Supermarkt einkaufe und selbstverständlich an den Regalen Preis und Warenbezeichnung in Blindenschrift vorfinde.

Inklusion ist, wenn in den Behindertengruppen in den sozialen Netzwerken keine Sinnsprüche als Bilder gepostet werden. Die Vorlesefunktion in den Computern von Sehbehinderten kann damit nichts anfangen.

Inklusion ist, wenn alle ihre Dienstleistung, ihr Lokal, ihre Informationen auch denen zugänglich machen, die nicht ohne Weiteres in deren Genuss kämen. Und all das, ohne dass es in irgendwelchen Gesetzbüchern verstaubt, wo es sowieso kein Mensch liest. Wenn alle an alle denken, ohne erst dazu verurteilt werden zu müssen, das ist Inklusion!

Ich besuchte vor einiger Zeit eine blinde Freundin. Ich kam mit dem Rollstuhl ohne Probleme in ihre Wohnung. Als ich hineinfuhr, sagte sie: „Moment, ich mache dir Licht.“ Sie konnte sich im Dunkeln orientieren, aber sie dachte sofort daran, dass ihr Besucher zum Sehen Licht benötigt. Das, liebe Freunde, das ist Inklusion!

Aber solange wir Behinderten nur unseren eigenen Nachteilsausgleich sehen, welches Recht haben wir, von den Politikern Inklusion zu fordern?

Lasst uns unserer Umwelt vorleben, dass wir die Inklusion verstanden haben. Wie?
Vielleicht, indem wir bei Bildern, die wir im Internet posten, in kurzen Worten schildern, was diese zeigen. Oder bei den so beliebten Sinnspruchbildern einfach den Text noch einmal darunter schreiben.
Vielleicht, wenn wir uns mit Freunden treffen, daran denken, dass nicht alle Treppen steigen können und das Lokal entsprechend auswählen.
Vielleicht, indem wir mit Gehörlosen so sprechen, dass sie unsere Lippen und unsere Mimik gut sehen können. Also einfach mal die Eiskarte vor dem Gesicht wegnehmen. Wir müssen jetzt nicht alle das Gebärden lernen – aber vielleicht finden es ein paar von uns ganz nützlich?

Natürlich können wir keinen Schalter umlegen und die Inklusion ist da. Aber wir können den Schalter in unseren Köpfen umlegen. Dann fällt es uns auch leichter, unser direktes Umfeld zu sensibilisieren. So, und nur so, kriegen wir die Inklusion in die Köpfe und Herzen der Menschen – während die Juristen immer noch um Kommata herumdiskutieren.

Ich fange schon mal an. Wer mitmachen will, ist herzlich eingeladen, den Schalter im eigenen Kopf zu finden und umzulegen. Es gibt kein Kochrezept und keine Vorschrift. Beobachten und ausprobieren, das ist die Devise. Gewöhnen wir uns einfach an, daran zu denken, dass es auch Menschen mit anderen Behinderungen gibt. Vielleicht möchten die auch mit dabei sein?

Wenn wir nicht mehr weiter wissen, dann können wir Spezialisten fragen. Das sind die, die eine andere Behinderung haben. Wenn die nicht ganz genau wissen, was sie brauchen, wer dann?

Und irgendwann wissen wir auch genau, was die Politiker für uns in die Gesetze schreiben sollen. Wir, nicht die Heimbetreiber, Fahrdienstunternehmer und die Berufsfürsorger, die sich sonst unsere Köpfe zerbrechen. Die wissen nämlich auch schon lange, was in den Gesetzen stehen muss, damit sie weiter auf unsere Kosten verdienen.

Noch ist der Zug nicht abgefahren. Aber wenn wir jetzt nicht endlich zeigen, was Inklusion wirklich ist, werden wir das bleiben, was so viele jetzt schon sind: Nutzvieh – für Heimbetreiber, Sozialbehörden, Fahrdienste und alle, die sonst noch kräftig am Pflegekuchen mit futtern.

 

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