Routine gegen Menschenwürde

Da liegst du da, seit Monaten. Essen, Trinken und auch die Körperpflege findet im Liegen statt. Statt zu duschen wird sich mit dem Waschlappen abgewaschen. Ist ungefährlicher.

Geduscht habe ich in diesem Jahr zwei Mal. Jedes Mal gab’s einen „kleinen“ Hautdefekt. Blöd, wenn sich daraus eine Fistel bildet, die du nicht merkst. Und schon liegst du wieder monatelang da.

Die Pflege bringt das Frühstück. Ich habe gelernt, auf der Seite liegend mein Brötchen zu belegen. Ein Geschirrhandtuch fängt die Krümel auf. Zum Glück schaue ich aus dem Fenster, sonst hätte ich direkte Sicht auf das Nachbarbett, in dem der Insasse gerade manuell den Darm ausgeräumt bekommt. Querschnitt heißt häufig auch, dass Darm und Blase gelähmt sind.

So bekomme ich wenigstens bloß den Geruch mit. Die meisten Pflegerinnen und Pfleger lassen mit sich reden. Während wir frühstücken, machen sie etwas anderes. Pause vielleicht oder sind im Nachbarzimmer zugange.

Ein paar weigern sich. Das geht nicht, sie kommen sonst mit der Zeit nicht rum. Wir sollen uns nicht so anstellen, das wäre doch alles natürlich.

Beschwerden werden vom Qualitätsmanagement gerne entgegengenommen. Und abgeheftet,wahrscheinlich. Geht alles nach ISO. Normiert, standardisiert, Abläufe optimiert. Schließlich müssen hier Dividende erwirtschaftet werden. Krankenhäuser sollen Menschen heilen? Wer kommt denn auf sowas? Das war vielleicht mal. Da haben Stadt- und Gemeindeparlamente auch noch versucht, das Leben für ihre Bürger lebenswert zu machen. Heute gibt es Kommunen, die Projekte realisieren. Um die zu finanzieren, wurden schon vor Jahren die Kostenfaktoren Krankenhaus gewinnbringend verscherbelt.

Heute sind das Profit- Center, die für die Aktionäre Gewinne erwirtschaften. Menschen heilen – haha, der ist gut.

Naja, als ich vor ein paar Monaten mal wieder hier eingecheckt habe, durfte ich mein Schamgefühl an der Pforte deponieren. Die Menschenwürde hängt sauber gefaltet an einem Bügel im Schrank. Da weiß ich wenigstens, wo sie ist.

Ich bin ja hier nicht in der Sommerfrische, sondern soll gesund werden. Streng genommen liege ich hier und warte darauf, dass die Wunden von den vielen OPs heilen und das Narbengewebe weich wird. Sonst reißt es jedes Mal wieder auf, wenn ich die Beine beuge. Und das muss ich, wenn ich in meinem Rollstuhl sitzen will.

Aber ich bin ungerecht. Die meisten auf der Querschnittsstation sehen in den Betten noch Menschen liegen, keine Pflegeobjekte. Ganz haben es die Betriebswirte noch nicht geschafft. Trotz Vollbelegungsanordnung, Personalkürzung und Prozessoptimierung.

Diese Dinosaurier sind nicht ausgestorben. Noch nicht. Und vielleicht komme ich doch noch mal an diesen mystischen Ort, den ich dunkel als mein Zuhause in Erinnerung habe.
Der Ort, an dem geliebte Menschen leben.

Dafür nehme ich sogar Frühstück mit Abführgeruch und -Geräuschen in Kauf.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar