Barrierefrei? Schilda ist überall!

Im letzten Herbst hat man unser Dorf an das S-Bahn-Netz angeschlossen. 3 S-Bahn-Stationen haben uns die Verkehrsbetriebe spendiert, alle rollstuhltauglich.
In der Stadt bin ich schon mal probeweise mit der S-Bahn gefahren, das ging ziemlich gut. Ein paar Haltestellen hat man ein wenig hochgebaut, so dass man mit Rollstuhl, Kinderwagen oder Rollator bequem einsteigen kann.

Das passt soweit, denke ich mir. Vor ein paar Tagen sollte ein Christopher Street Day stattfinden. Ich selbst bin zwar überzeugt hetero, aber diesen bestimmt farbenprächtigen Umzug wollte ich mir nicht entgehen lassen. Außerdem gehöre ich streng genommen als Behinderter selbst zu einer diskriminierten Minderheit, die immer noch häufig um ihre Selbstbestimmung kämpfen muss. Da kann man ruhig mal ein wenig Solidarität zeigen.

Die S-Bahn, die bei uns vorbei fährt, hält auch an einer barrierefreien Station in der Stadt. ‚Na prima, da kann ich mich mit ein paar Freunden treffen, das wird bestimmt lustig‘, dachte ich.

Wenn ich schon mal denke. Der Einstieg in die S-Bahn ging super. Die Tür für Rollstühle und Kinderwagen war im ersten Wagen, gleich hinter dem Fahrer. Der sah mich anrollen, öffnete mir die Tür und wartete, bis ich in der Bahn war. Das erste Mal seit meinem Unfall, dass ich wieder alleine mit der Bahn fuhr, ein unglaubliches Gefühl.

In der Stadt angekommen war plötzlich an der Haltestelle, an der ich aussteigen wollte, eine hohe Stufe. Für einen Rollstuhlfahrer unüberwindbar. Glücklicherweise stieg meine Frau, mit der ich verabredet war, schon eine Station früher in die Bahn ein. Als eingespieltes Team konnten wir die Stufe überwinden. Eine Freundin, auch Rollstuhlfahrerin, wollte aus der Gegenrichtung zu uns stoßen. Ihre Bahn wurde wegen des Umzugs umgeleitet. Normalerweise fährt sie einen Elektrorollstuhl. Warum sie sich an diesem Tag für einen Aktivrolli entschieden hat, weiß sie auch nicht mehr. Jedenfalls war es eine weise Entscheidung, denn in ihrem leichten Aktivrollstuhl konnte man sie aus der Bahn heben. Im E-Rolli hätte sie so lange in der Bahn bleiben müssen, bis diese wieder an einer rollstuhltauglichen Haltestelle ankommt.

Das Rätsel der wundersamen Stufenbildung war schnell gelöst. In der Stadt werden auf einigen Strecken so genannte Niederflurwagen eingesetzt. Im Umland verwenden die Verkahrsbetriebe Mittelflurwagen. Das heißt, ich kann entweder in der Stadt mit der Bahn fahren oder um die Stadt herum. Haltestellen, die für alle Wagentypen barrierefrei nutzbar sind, gibt es nicht.

Ich hatte mir immer eingebildet, wenn schon die Verkehrsplaner nicht miteinander reden, dann brauchen sie nur in die entsprechenden Normen zu sehen. Dafür wurden Normen ja geschaffen. Und, siehe da – diese Norm gibt es! Für Niederflurwagen, Mittelflurwagen, Hochflurwagen – für jeden denkbaren Wagentyp gibt es eine Norm und eine Vorschrift, wie die ensprechenden Bahnsteige gestaltet werden müssen, damit sie barrierefrei sind. Alles durch Vorschriften, Normen und Datenblätter geregelt, wie sich das in einem ordentlichen Land gehört. Dass das möglicherweise auch zusammenpassen muss, darüber gibt es keine Verordnung.

Wie der Christopher Street Day war?
Farbenfroh, laut, schrill, ein wenig gewagt – und hat auch für uns Zuschauer einen Heidenspaß gemacht.

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