Rollstuhl fahren ist ansteckend

… das scheinen zumindest einige zu glauben. Gestern musste ich zu einer Augenuntersuchung in die Stadt. Kein Problem, der Fahrdienst bringt mich hin und holt mich auch wieder ab. Der Augenarzt hat eine barrierefreie Praxis, nur vor dem Eingang ist eine kleine Stufe, die sich aber mit ein bisschen Hilfe gut überwinden lässt.
Nach der Untersuchung möchte ich vor der Praxis in der Sonne auf meinen Fahrdienst warten und stelle mich im Hauseingang direkt an die Stufe. Irgendwer wird schon vorbei kommen und mir da runter helfen.
Es ist unglaublich, die Menschen, die eigentlich ständig durch diese Tür gehen müss(t)en, sie bleiben einfach aus. Dort stehen sehen mich alle. Manche schlagen einen Bogen und wenden den Blick ab, damit ich ja nicht auf die Idee komme, sie anzusprechen. Andere drehen im letzten Moment ab, so als sei ihnen eingefallen, dass sie ja woanders noch ganz dringend etwas zu erledigen haben. Dann kommt es ganz dick, wörtlich: Ein Mann von bestimmt 130 kg Lebendgewicht mit einem winzigen Hündchen auf dem Arm und einer Frau im Schlepptau will genau dort durch, wo ich stehe. Na prima, denke ich mir, der wird mir bestimmt helfen, damit er durch kann. Wenn ich schon mal denke. Der Dicke marschiert auf mich los, als wäre ich nicht da. Ich glaub’s einfach nicht. Der Typ nimmt mich überhaupt nicht zur Kenntnis. Im letzten Moment rolle ich nach hinten weg und schwenke hinter einen Mauervorsprung. Wie eine Lokomotive stampft der Koloss an mir vorbei. Seine Begleiterin schaut mit einem Schulterzucken zu mir herüber, das man mit viel Wohlwollen als eine Art Entschuldigung interpretieren könnte. Ich rolle wieder in Richtung Tür. Schon steht eine kleine alte Dame mit Krückstock vor mir. Ob ich sie nicht sehen würde. Das wäre eine Unverschämtheit, so im Weg herum zu stehen, keift sie sofort los. Ich komme überhaupt nicht zu Wort.
Ein junger Mann mit einer Umhängetasche kann nicht schnell genug wegsehen. Ich spreche ihn an, bitte um Hilfe.
„Ja, trauen sie mir das denn zu?“
„Kein Problem, ich kippe auf die Hinterräder und fahre selbst die Stufe hinunter, Sie müssten mir nur helfen, die Balance zu halten.“

Eine Minute später stehe ich auf dem Kopfsteinpflaster vor dem Gebäude in der wärmenden Sonne und bedanke mich. Gerade rechtzeitig, um dem Fahrer zu winken, der mich abholen kommt.
Kommt es mir nur so vor, oder sind die Leute auf dem Land hilfsbereiter?

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