Gedanken über mich

Im Spätsommer 2007 hatte ich in der Akutklinik einen seelischen Zusammenbruch. Der Psychologe sagte mir hinterher, dieser Zusammenbruch wäre schon überfällig gewesen. Diese Krise muß jeder durchmachen. Bei manchen kommt sie schon ganz am Anfang und ist fast unbemerkt. Je später die Krise kommt, desto schlimmer kann es werden. Ich bin damals in ein Loch gefallen, aus dem ich ohne Hilfe nicht mehr herauskam. Das war, als ich den Notausgang nehmen wollte.
Ich habe dann akzeptiert – nee, ist nicht richtig, als mir klar wurde, daß mein bisheriges Leben vorbei ist, habe ich mit meinem neuen Körper die Phase des sich Kennenlernens, der Kindheit und Jugend, quasi im Zeitraffer noch einmal durchgemacht.
Jetzt, als ich diese Zeilen schreibe, finde ich es richtig spannend, mich selbst zu beobachten und täglich neue Fertigkeiten auszuprobieren. Meistens geht’s zu Anfang schief. Ich probiere dann so lange, wie ich es doch hinbekomme, bis ich eine Lösung habe. Die kann dann auch schon mal ganz anders aussehen.
Ein ganz alltägliches Problem: Ich habe eine Tasse Kaffee, die möchte ich vom Kaffeeautomaten zu meinem Tisch bringen. Nehme ich die Tasse in die Hand, kann ich nur noch mit einer Hand Rollstuhl fahren, sprich im Kreis.
Schlecht.
Wenn ich die Tasse nicht ganz voll mache, kann ich sie zwischen die Beine klemmen.
Heiße Kaffeetasse zwischen Beine klemmen, die nichts fühlen – ganz schlecht. Verbrühungen heilen nur sehr langsam.
Zwischenschritt – Kaffee mit viel Milch auf ungefährliche Temperatur runterkühlen, zwischen die Beine klemmen und über bessere Lösung nachdenken.
Nach viel Probieren fand ich heraus, daß ich, je nachdem, wie schnell ich mein Greifrad drehe, die Richtung beeinflussen kann. Heute ziele ich mit dem Rollstuhl in die Richtung, in die ich möchte, nehme dann erst die Tasse in eine Hand. Mit der anderen Hand drehe ich langsam mein Rad an. Sobald der Rollstuhl in Schwung kommt, nehme ich die Tasse in die andere Hand, drehe das Rad mit der freigewordenen Hand. So geht das abwechselnd, bis ich in einer leichten Schlangenlinie ungefähr dort bin, wo ich hin will. Sobald ich den Tisch greifen kann, ziehe ich mich bis zu meinem Ziel.
Inzwischen kann ich mit einer Hand wenden. Klappt nicht immer. Meistens, speziell,  wenn andere zusehen, fahre ich schon mal ganz woanders hin. Ich tue dann einfach so, als wollte ich da hin.

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Eine Antwort zu Gedanken über mich

  1. rolling robo sagt:

    Jetzt hab ich die innovative Lösung zum Kaffeetassenproblem: Ein Getränkehalter aus dem Fahrradladen. Da paßt genau ein Norm-Kaffeepott rein und Du hast beide Hände frei.

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